Im Strom der Modernisierung

Die Steiermark hat in den letzten 200 Jahren tiefgreifende wirtschaftliche, gesellschaftliche und demografische Veränderungen durchlaufen. Doch der Fortschritt hat zwei Gesichter: Während er Leben rettet und Wohlstand schafft, bringt er auch neue Herausforderungen für Gesellschaft und Bevölkerung mit sich.

Zuletzt aktualisiert am 05.08.2025, 14:35

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Auch die Steiermark befindet sich in den letzten 200 Jahren in einem ständigen Modernisierungsprozess. Dieser zeigt sich in einem wirtschaftlichen Wachstum, einem Anstieg des Wohlstandes, aber auch in der Demokratisierung und Gleichstellung von Staatsbürgern, allerdings immer noch in ungenügender Weise von Mann und Frau in der Gesellschaft.

Zuerst der Aufstieg der Industrie und noch vor dem WK I dann der Beginn es Siegeszuges des dritten Sektors und die starke Reduktion des agrarischen Beschäftigtenanteils sind die prägenden Ergebnisse des ökonomischen Modernisierungsprozesses. Dazu gehören natürlich auch Prozesse der Mechanisierung und Automatisierung (Industrie 4.0, KI etc.).

Auch die Säkularisierung, der Rückgang der gesellschaftlichen Bedeutung von Religion und Kirche ist Teil dieses Modernisierungsprozesses. Und schließlich spiegelt sich die Modernisierung auch in demografischer Hinsicht wider. Die Menschen werden immer älter, die Säuglinge und Kinder sterben nicht mehr, die Mortalitätsrate – innerhalb eines Jahres verstorbene Personen je 1000 Einwohnern – sinkt, aber auch die Geburtenrate – Zahl der innerhalb eines Jahres Lebendgeborenen je 1000 Bevölkerung – sinkt tendenziell beständig und in den letzten Jahrzehnten sogar stärker als die Mortalitätsrate. Ausnahmen bedeuteten nur die beiden Weltkriege mit gesteigerter Mortalität und stark reduzierter Fertilität sowie der Babyboom von etwa 1955 bis etwa 1972. Deswegen altert die steirische Bevölkerung auch ständig, die Lebenden werden immer älter und es gibt aber nur wenig Nachschub von unten, von der Geburtenseite/der Fertilität her. Beide Entwicklungen, das Sinken der Mortalität wie auch der Fertilität sind aber unmittelbar an die steigende Modernisierung, den Fortschritt und den Wohlstand gekoppelt.

Die Modernisierung brachte bessere medizinische Betreuung, das „Besiegen“ der klassischen Infektionskrankheiten wie Pocken oder Masern, die besseren hygienischen und sanitären Lebensbedingungen (Kanalisation und sauberes Trinkwasser etc.) und schließlich die bessere Ernährung. Das alles steigert die Lebenserwartung. Umgekehrt ist der Fortschritt aber leider auch der Ursprung der sinkenden Fertilität. Betrug die mittlere Anzahl von Lebendgeburten pro Frau im gebärfähigen Alter um 1850 noch etwa fünf, so sind es heute noch gerade 1,5. Betrug die mittlere Lebenserwartung um 1850 – unter Berücksichtigung der hohen Säuglingssterblichkeit von ca. einem Viertel der Lebendgeborenen – noch ca. 45 Jahre, so beträgt sie heute mit etwa 83 Jahren fast das Doppelte.

Moderne Kinder sind teuer – und sterben nicht mehr! Die Eltern wollen ja ihren Kindern nur Gutes bieten: Wohnen, Kleidung, Gesundheit, Freizeit und vor allem Ausbildung. Das alles kostet Geld – und Zeit. Moderne Eltern können sich ein annehmliches Leben nur leisten, wenn beide Elternteile zumindest teilweise beschäftigt sind und ein Einkommen beziehen – ein volkswirtschaftliches Plus, aber eine Belastung für die Mikroökonomie der Familie, vor allem eine Doppelbelastung für die Frauen/Mütter. Auch diese, Opportunitätskosten genannten Kosten spielen eine Rolle, warum immer weniger Kinder geboren werden. Die Modernisierung ist also doppelgesichtig.

In früheren Jahrzehnten bedeutete ein Sinken der Fertilität sicherlich einen Vorteil für die Eltern und die Volkswirtschaft, weil besser ausgebildete Kinder ins Arbeitsalter kamen. Die Grenze läge aber beim sogenannten Reproduktionsniveau, einer durchschnittlichen Anzahl von Lebendgeburten von zwei pro Frau im gebärfähigen Alter. Die Bevölkerung der Steiermark wächst, das aber ausschließlich wegen der Zuwanderung und wegen der noch höheren Fertilität der ersten Generation in derselben. Man kann die zukünftigen Konsequenzen schwer beurteilen, Fakt aber ist, dass der Wohlstand und die Bevölkerungszahl in den letzten 200 Jahren zusammen gestiegen sind. Was wird passieren, wenn die Bevölkerungszahl zu sinken beginnt, wie es schon in mehreren, vor allem osteuropäischen Ländern der Fall ist? Es ist jedenfalls eine neue Erfahrung, es fehlen nicht nur Produzenten/Arbeitskräfte, sondern auch Konsumenten und Steuerzahler, denn Maschinen zahlen keine Steuern und gehen nicht einkaufen!

*Pfister, Christian (1995). Im Strom der Modernisierung: Bevölkerung, Wirtschaft und Umwelt im Kanton Bern. 1700-1914.