Das EU-Handelsabkommen mit Südamerika: Ein Faktencheck
Internationale Handelsabkommen stehen in der öffentlichen Debatte oftmals in Kritik. Zu Recht? Wir haben uns angesehen, was es mit dem Mercosur-Abkommen auf sich hat und ob die Befürchtungen, dass es zu einer Flut an Billigfleisch kommen wird, berechtigt sind.
Zuletzt aktualisiert am 12.09.2025, 09:28

Der gemeinsame südamerikanische Markt – Mercado Común del Sur (MERCOSUR) – wurde im Jahr 1991 gegründet und ist ein Zusammenschluss der Länder Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Der gemeinsame Markt könnte in weiterer Folge um den Beitrittskandidaten Bolivien sowie die assoziierten Mitglieder Chile, Ecuador, Guyana, Kolumbien, Peru und Suriname erweitert werden.
Die Verhandlungen über ein Handelsabkommen zwischen der EU und dem südamerikanischen Staatenbündnis Mercosur hatten bereits 1999 begonnen. Ende 2024 wurde in Montevideo eine vorläufige Vereinbarung unterzeichnet. Am 4. September 2025 hat die EU-Kommission nun grünes Licht für eine endgültige, juristisch geprüfte Fassung gegeben. Damit das Abkommen in Kraft treten kann, müssen noch die EU-Staaten sowie das Europäische Parlament zustimmen.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einem „Meilenstein“, der die Position der EU als „größten Handelsblock der Welt“ zementieren werde. Ziel ist die Schaffung einer der größten Freihandelszonen der Welt mit mehr als 700 Mio. Einwohner:innen. Im Kern vorgesehen ist der weitgehende Wegfall von Zöllen.
Ein volkswirtschaftlicher Faktencheck versucht in diesem Beitrag auf wesentliche Stärken und Vorurteile dieses Freihandelsabkommens mit Bezug auf Österreich bzw. die Steiermark einzugehen:
Das Abkommen liefert neue Impulse für eine schwächelnde Wirtschaft, die für Österreich unverzichtbar sind. Es erhöht die Resilienz der österreichischen Wirtschaft durch Diversifizierung und Sicherung von Lieferketten. Es liefert die Basis für die Verfügbarkeit wichtiger strategische Rohstoffe und ist das Eintrittstor in einen großen Wirtschaftsraum mit Wachstumspotential:
- Der Mercosur ist ein Wirtschaftsraum mit rund 260 Mio. Einwohnern – also knapp 60 % der Größe der heutigen EU (rund 450 Mio. Einwohner). In Summe entsteht durch das Abkommen ein gemeinsamer Markt mit über 700 Mio. Konsument:innen.
- Ein Vorteil ist der homogene Raum mit den beiden Sprachen Spanisch und Portugiesisch, der eine Marktbearbeitung viel leichter macht, als es in vergleichbaren größeren Regionen der Fall ist.
- Die Beziehungen mit Österreich sind bereits heute gut und ausbaufähig:
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- Zwischen Österreich und dem Mercosur bestehen bereits enge Handels- und Investitionsbeziehungen.
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- Von den 1.104 Unternehmen aus Österreich, die nach Argentinien und Brasilien exportieren, sind 65 % KMU.
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- Durch das Handelsabkommen werden viele Zölle unterschiedlichster Produktgruppen vollständig abgeschafft. Österreichische und europäische Unternehmen werden sich dadurch Zölle im Wert von 4 Mrd. € pro Jahr ersparen.
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- 32.000 Arbeitsplätze hängen in Österreich von Exporten in den Mercosur ab.
- Bereits heute sind rund 240 Unternehmen aus Österreich im Mercosur aktiv.
- Österreich hat seit Jahren einen deutlichen Handelsüberschuss mit den Mercosur-Staaten. Es werden mehr Güter exportiert als importiert. Wichtige wirtschaftliche Sektoren und Exportschlager sind Arzneimittel, Chemikalien, Messgeräte, Stahlprodukte, Maschinen und Elektrogeräte, Softdrinks, Papierwaren etc.
- Die Steiermark hat beispielsweise im Jahr 2024 Waren im Wert von 212 Millionen Euro in die vier Länder ausgeführt – das ist laut regionaler Außenhandelsstatistik der Statistik Austria ein Anteil von 17 % an den österreichischen Mercosur-Exporten in diesem Jahr. Die Steiermark ist damit hinter Oberösterreich jenes Bundesland, das speziell von den Exporten in den Mercosur-Raum profitiert.
- Vor allem die wirtschaftlichen Verflechtungen der Steiermark mit Brasilien sind stark. Güter im Wert von 179 Millionen Euro wurden aus der Steiermark in das portugiesisch sprechende Land im Jahr 2024 ausgeführt.
- Auch die Steiermark weist im Handel mit dem Mercosur-Raum eine positive Außenhandelsbilanz auf: Wir exportieren Güter im Wert von 212 Mio. € und importieren im Wert von 107 Mio. €, was einem Überschuss von rund 105 Mio. € entspricht. Österreichweit liegt der Überschuss bei 751 Mio. € bei Exporten von insgesamt 1,3 Mrd. €.
- Aus Südamerika gibt es generell auch ein beträchtliches Potential an qualifizierter Zuwanderung. So haben etwa Argentinier eine gute Beziehung zu Europa und ein hohes Bildungsniveau. Das Beispiel Spanien zeigte zuletzt, dass lateinamerikanische Arbeitskräfte auch in Europa gefragt sind.
Trotz dieser Vorteile kursieren leider auch viele Mythen im Internet, die einer genaueren Betrachtung unterzogen werden sollten (vgl. WKÖ 2023):
- „Billigrindfleisch und eine Überflutung mit Steaks aus Südamerika sind die Folge“ FAKT: Bricht man die Menge an zusätzlichem Rindfleisch pro EU-Bürger auf Österreich herunter, sprechen wir von höchstens 221 g pro Kopf. Also im Jahr allenfalls ein normales Steak.
- „Minderwertiges Hormonfleisch wird in die Supermärkte gelangen“ FAKT: Es werden keine Standards bei Lebensmitteln gelockert. Stattdessen gibt es ein durchdachtes Kontrollsystem.
- „Die Rinderzucht wird massiv ausgeweitet und der Regenwald endgültig abgeholzt“ FAKT: Durch das Abkommen wird der Regenwald nicht aufgrund neuer Rinderweiden zerstört. Brasilien wird zu mehr, und nicht zu weniger Schutz des Regenwaldes verpflichtet – auch Nachhaltigkeitsaspekte sind also Teil der Vereinbarung. Zudem sichert die Quotenregelung in Bezug auf die vom Abkommen festgelegte maximale Rindfleischmenge, die mit Zollvorteilen exportiert werden darf, keine massive Ausweitung der Rinderzucht.
- „Der österreichische Agrarsektor profitiert gar nicht von diesem Abkommen“ FAKT: Die Landwirtschaft ist durch den Abbau von Handelshemmnissen einer der Profiteure von EU-Handelsabkommen. So kommt die EU als erster Handelspartner der Mercosur-Staaten, in denen 260 Mio. Konsumenten leben, in den Genuss eines geöffneten Marktes. Neue Wachstumschancen könnten sich etwa bei Milchprodukten und verarbeiteten Fleischwaren ergeben. Im Bereich Wein und Spirituosen werden die Exporte ebenfalls vereinfacht.
In Österreich ist die politische Debatte nach wie vor gespalten. Während Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) und Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (NEOS) das Abkommen vorsichtig positiv bewerteten, bekräftigte Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) seine ablehnende Haltung. Auch Frankreich und Polen äußerten lange Bedenken, zeigten sich zuletzt aber gesprächsbereit. Die EU-Kommission verweist auf „robuste Schutzmaßnahmen“ für sensible Agrarprodukte sowie die Integration von Klima- und Umweltzielen, etwa die Verankerung des Pariser Klimaschutzabkommens.
Summa summarum sind intelligent gestaltete Freihandelsabkommen gerade in Zeiten von zunehmenden protektionistischen Tendenzen in Bezug auf strategisch wichtige Rohstoffe und Zulieferprodukte wesentliche Bestandteile einer zukunftsorientierten und widerstandsfähigen europäischen, wirtschaftspolitischen Grundausrichtung. Der gemeinsame Markt Südamerikas bietet hier große Chancen für die europäische Volkswirtschaft. Österreich als exportorientierte kleine offene Volkswirtschaft kann hier besonders als Gewinner hervorgehen und innerhalb Österreichs ist die Steiermark eines jener Bundesländer mit sehr hohen Exportanteilen in den Mercosur.
Ob das Abkommen tatsächlich in Kraft tritt, hängt nun von der Zustimmung der EU-Staaten und des Europäischen Parlaments ab. Die endgültigen Abstimmungen könnten bis Jahresende 2025 erfolgen – Österreich spielt dabei mit seinem Parlamentsbeschluss eine zentrale Rolle.
Quellen:
EU-Kommission: Grünes Licht für Mercosur-Abkommen – news.ORF.at
Handelsabkommen EU-Mercosur – WKO
Trade Agreement EU – MERCOSUR | 2023-fs-mercosur-en.pdf
Statistik Austria – Regionale Außenhandelsstatistik