Die unbequeme Wahrheit

Mehr Netto vom Brutto: Welche Entlastung es abseits von Kollektivvertragserhöhungen geben müsste

Die Kollektivvertragserhöhungen sind voll im Gange, jedoch kommt davon nur ein geringer Teil dem Dienstnehmer zugute. Doch wie kann auch dieser von der Erhöhung profitieren?

Zuletzt aktualisiert am 03.08.2022, 10:53

Ein Mann trägt die Last der Steuern auf seinem Rücken. Bei den Kollektivvertragserhöhungen ist es notwendig daruaf zu achten, dass die Steuern für Arbeitnehmer gesenkt werden. Copyright: photoschmidt - stock.adobe.com

Die Konjunkturlage im produzierenden Bereich nähert sich langsam wieder dem Vorkrisenniveau an. Das zeigen die jüngsten Konjunkturdaten des Wirtschaftsbarometers der WKO. Im Wesentlichen handelt es sich dabei allerdings um Aufholeffekte und nicht um ein echtes Produktivitätswachstum. Insofern müssten sich die Kollektivvertragserhöhungen in diesem Jahr im Wesentlichen an der Inflationsentwicklung ausrichten. Die derzeit bestehenden Forderungen der Arbeitnehmerseite gehen allerdings deutlich darüber hinaus und negieren einmal mehr den Umstand, dass der Hauptprofiteur von Kollektivvertragserhöhungen nicht der einzelne Arbeitnehmer ist, sondern der Staat. Daher ist es an der Zeit, Alternativansätze zu diskutieren, die die Lohnerhöhungen bei den Arbeitnehmern nachhaltig wirksam werden lassen. Frei nach dem Motto „Mehr Netto vom Brutto“. 

Was eine Kollektivvertragserhöhung dem Einzelnen bringt

Anhand eines kleinen Rechenbeispiels lässt sich der Effekt einer KV-Erhöhung sehr schön aufzeigen. Ausgangsbasis ist dabei das österreichische Bruttomedianeinkommen (2019: 2.741 Euro). Eine KV-Erhöhung des Bruttobezuges um drei Prozent (1.148 Euro p.a.) auf 2.823 Euro führt derzeit zu einer Steigerung der Dienstgebergesamtkosten von 1.492 Euro pro Jahr. Davon fließen aber lediglich 651,44 Euro (+2,4 Prozent) netto dem Dienstnehmer zu. Die verbleibenden 840,56 Euro (+3,7 Prozent) werden als Steuern und Abgaben fällig. Folglich fallen einem Arbeitnehmer bei einer Erhöhung des Kollektivvertrags auf Basis des derzeit geltenden Steuerregimes lediglich knapp 40 Prozent der Lohnerhöhung zu, der Rest wandert in die Staatskasse.

Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen der avisierten Kollektivvertragserhöhungen

Volkswirtschaftlich betrachtet sind die monetären Auswirkungen der seitens der Arbeitnehmerseite deponierten KV-Erhöhungswünsche beachtlich. Allein ein Abschluss im Bereich der Inflationsentwicklung von rund drei Prozent würde die Brutto-Lohn- und Gehaltssumme in Österreich im kommenden Jahr um rund fünf Milliarden Euro erhöhen. Würde diese Erhöhung 1:1 als privater Kaufkraft- und damit Nachfrageimpuls schlagend werden, wäre die ökonomische Wirkung nicht nur für den Einzelnen, sondern auch gesamtwirtschaftlich betrachtet positiv. Ob der steuerrechtlichen Grundlagen in Österreich bleibt der Effekt jedoch überschaubar. Der Gutteil der Erhöhung fließt, wie bereits dargelegt, dem Staat zu. Vor dem Hintergrund der gesamtwirtschaftlichen Situation, dem Umstand, dass der zu beobachtende Aufschwung sich noch nicht als nachhaltig gesichert darstellt und die heimischen Unternehmen sich einer schwierigen Kostensituation (Rohstoffpreise, Zulieferengpässe, Fachkräftemangel etc.), vor allem im produzierenden Bereich, gegenübersehen, könnten überzogene KV-Abschlüsse eine Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen. Einer derartigen Entwicklung gilt es tunlichst vorzubeugen.

Mehr Netto vom Brutto: Lohnnebenkosten im Bereich des 13. und 14. Monatsgehalts senken

Welcher alternative Weg steht offen, um die Arbeitnehmer tatsächlich zu entlasten? Ein gangbarer und probater Weg wäre es, wenn der Staat in einem ersten Schritt auf Teile der Lohnnebenkosten im Segment des 13. und 14. Monatsgehalts verzichten würde. Als wesentlicher Hebel im Lohnnebenkostenbereich könnte die Reduktion der Beitragssätze für die Kranken- und Arbeitslosenversicherung auf Sonderzahlungen von derzeit 6,87 Prozent auf rund vier Prozent dienen. Dies würde sicherstellen, dass bei einer KV-Erhöhung von drei Prozent auch eine Nettolohnerhöhung von drei Prozent bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ankommt. Das bringt den Arbeitnehmerinnen und Arbeiternehmern netto in Prozenten genauso viel wie der Tariflohnabschluss. Auf Basis dieses Ansatzes blieben einem Arbeitnehmer bezogen auf unser Referenzbeispiel zumindest 163,36 Euro netto mehr als derzeit. Mit diesem Modell wäre ein erster Schritt getan, dass die KV-Erhöhungen auch wirklich bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ankommen. Es bleibt tatsächlich mehr Netto vom Brutto. Es ist jedenfalls an der Zeit, sich sozialpartnerschaftlich auch darüber einmal ernsthaft Gedanken zu machen.